Das Alte Stadthaus

Das „Stadthaus von 1620“
Vom Sanierungsfall zum sehenswerten Schmuckstück

Es ist eines der ältesten Häuser der Stadt. Ein Haus mit Geschichte. Eine Alfelder Geschichte.

Das Haus am Marktplatz mit der Hausnummer 8, vielen älteren Bürgern der Stadt auch noch als das „Rogge’sche Haus“ bekannt, war jahrzehntelang die Arbeits- Wohn- und Wirkungsstätte des Alfelder Goldschmiedemeister Bert Rogge.
Davor war es das einstmalige Haupthaus eines weltweit operierenden Tierhandelsimperimus, der bis heute bekannten Tierhandelsfamilie Ruhe, die bereits 1882 das Haus übernahm.


2011 nahmen sich die neuen Besitzer, Susanne & Peter Schlegel zusammen mit ihren Kindern Kevin und Dennis des geschichtsträchtigen Hauses an. Sie kauften das unter Denkmalschutz stehende Haus von Frau Rogge, nichtsahnend, was auf sie bei der anstehenden Renovierungsphase nun wirklich auf sie zukommen sollte. Denn, so wissen wir heute, hielt das Haus in vielerlei Hinsicht Überraschungen bereit.
Nachdem allen von Beginn an klar war, das gesamte Haus in seiner Grundsubstanz und Innenarchitektur zu erhalten, begannen die umfangreichen und zweitaufwendigen Bauarbeiten unmittelbar nach Abschluss des Kaufvertrages 2011.

Der erste Bauabschnitt 2012

In diesem ersten Bauabschnitt wurde begonnen, das Fachwerkhaus auf seine alte Substanz zurück zu bauen. So wurde der Style der 70iger Jahre in Form von Presspappen an den Wänden, um gerade Räume zu erhalten, genauso rückstandslos entfernt, wie zeittypische Teppich- und Linoleumböden.
Bei diesen Arbeiten wurde zur Überraschung aller im Erdgeschoß der original erhaltene Bodenbelag freigelegt und aufwändig saniert, das heißt jede einzelne Bodenfliese wurde hochgenommen, von Hand gereinigt und wieder neu an seinem ursprünglichen Platz verlegt.

2016

Der hinter einer Pappwand wiederentdeckte und damit die Zeit überdauerende Original-Windfang wurde liebevoll aufgearbeitet und wieder seiner eigentlichen Aufgabe zugeführt, montiert zum Teil unter Beibehaltung der noch vorhandenen und soweit intakten originalen, zeittypischen Verglasung.
Diese allgegenwärtigen Pappen vor nahezu allen Wänden haben den gesamten Bau, wahrscheinlich aber eher zufällig und vom Vorbesitzer sicherlich eher unwissend vor den Unbilden des „Sanierungswahns“ wie es manch anderem Fachwerkhaus wiederfuhr über Jahrzehnte geschützt. So kamen später noch Verzierungen, alte Fachwerkbalken und sogar noch Brandreste des großen Stadtbrandes von 1846 zum Vorschein und ließen die Herzen nicht nur der Eigentümerfamilie höher schlagen.

Der freigelegte Windfang

In der zweiten Ausbauphase wurden die zwei massiven Gewölbekeller des dreistöckigen Hauses, bei dem jede Etage fast 200 Quadratmeter vorweisen kann, umfassend saniert. Dabei wurden Kriechgänge und alte, zugemauerte Türen entdeckt die abermals Raum für weitere Spekulationen geben. Den Alfelder Legenden glaubend, sollen viele Häuser untereinander durch solche Kriechgänge und Tunnel verbunden gewesen sein.

Die zweite Ausbauphase – Das Kellergewölbe

Der sich anschließenden dritte Ausbauabschnitte war der Rückbau des Haustürbereichs und der Schaukästen der ehemaligen Goldschmiede von Bert Rogge. Bei dem Originalaufbau des Hofeingangs vom Marktplatz, wurde das Holztor anhand historischer Fotos neu aus Eiche nachgefertigt. Die ursprünglich vorhandene Pferdetränke wurde an seiner alten Stelle wieder neu aufgebaut.
Als Schlegels das Haus kauften wurde immer davon ausgegangen, dass das „Stadthaus“, so wie es mittlerweile genannt wird, Baujahr 1670 war.
Oberhalb des Kellerfensters (rechts im Bild) befindet sich seit Jahrhunderten der Grundstein.
Beim Sanieren des Sockels wurde dann plötzlich und völlig überraschend der Grundstein des Hauses entdeckt, datiert auf das Jahr 1620.
Der Stein wurde freigelegt und ist vom Marktplatz aus für jedermann sichtbar.

Sie schufen gemeinsam ein historisches Kleinod am Marktplatz. Drei Generationen vor dem Alten Stadthaus. Von links nach rechts: Dennis, Susanne, Peter, Kevin und Konstantin Schlegel, sowie Hund Charly.

Eine weitere, nicht nur für die Geschichte der Stadt Alfeld wichtige Überraschung, offenbarte sich zu Beginn der vierten Sanierungsstufe. Diese führte die ambitionierten Bauherren in die 1.Etage. Hier wurde das Treppenhaus originalgetreu wiederhergestellt sowie zwei Zimmer im hinteren Hausteil saniert.
Beim Sanieren des Treppenhauses stieß man auf Brandstellen, in Form von Ruß und verkohlten Holzbalken, die die Vermutung nahelegen das es sich um Reste des großen Stadtbrands von 1846 handeln könnte. Auch dieser neue, ungeplante Fund wurde zur Ansicht für die Nachwelt offengelassen und bildet nun einen weiteren optischen Leckerbissen.

Der große Stadtbrand von 1846

Der Stadtbrand vom 2. Juni 1846 begann an der Ecke Lein- und Marktstraße und legte innerhalb weniger Stunden 104 Wohnhäuser mit Nebengebäuden in Schutt und Asche.

In dessen Folge veränderte sich, wie in vielen anderen Städten nach solchen Bränden auch, das Stadtbild. Noch vor Einbruch des Winters standen 90 Häuser wieder im Gerüst, während der weitere Wiederaufbau des westlichen Stadtbereiches bis 1847 erfolgte.

So erhielt Alfeld Ende Oktober 1846 eine Bauordnung, die erstmalig tiefgreifend in die Gestaltung der Straßen, sowie der Haupt-, Nebengebäude und Höfe eingriff.
Genehmigt werden mussten sogar die Back- und Brennöfen, Braupfannen, „Brannteweinsblasen“, Schmiedeessen, Öfen, Kamine, Feuerherde usw.. Auflagen gab es ferner für Brandmauern, Schornsteine, Brunnen, Lohgruben, Cloaken, die Dachdeckung, Regenwasserabflüsse, Luken, Torwege usw. Man errichtete die meisten Neubauten auf den alten Gewölben.

Nach gut drei Jahren umfangreicher Renovierungs- und Sanierungsarbeit konnte „schon“ mit der Grundsanierung der zweiten Etage begonnen werden.
Hier wurde, man mag es fast nicht mehr glauben, zum Teil sehr schönes und Jahrhunderte altes Fachwerk freigelegt, dass auch heute bewundert werden kann.
Neben dem freigelegten urigen Fachwerk fanden sich unter anderem auch ca. 20m lange und etwa 60x80cm dicke Deckenstützbalken, die damals in einem Stück eingebaut wurden!
In der Galerie in der zweiten Etage wurde abschließend noch der historische Dielenfußboden freigelegt.

Die jetzt noch vorhandene Restfläche in der 1. Etage bildet zum guten Schluss die sechste und vorerst letzte Ausbauphase die, wenn alles nach Plan verläuft, im Laufe des Jahres 2016 abgeschlossen werden soll. Es verlief alles nach Plan.
Detailverliebt wohin man auch schaut. Mehr geht nicht. Absolut sehenswert.
Die „Kosmische Blume“ ist ein ständig leuchtendes Lichtsymbol über dem Eingang des Hauses.

Die scheinbare Blütenform hat als Konstruktionsprinzip die bekannte „Kreisteilung durch ihren Radius“.

Im Bild rechts über dem Eingang zu den damaligen Schaukästen sehr gut zu erkennen

Die mit der Sanierung des Hauses am Marktplatz einhergehende Umgestaltung des Hofbereichs mit dem dahinterliegenden Grundstück ist abschließend nochmal ein Kapitel für sich, vielleicht auch später einmal für alt-alfeld.


Die bekannten Vorbesitzer

Nach Informationen des Alfelder Geschichtsexperten, Kreisheimatpfleger Gerhard Kraus, konnte die genaue Bauzeit des Hauses am Marktplatz 8 bislang nicht ermittelt werden. Beim Planungsamt vermuten die Experten das 16. Jahrhundert.
Der wohl bekannteste Eigentümer des Hauses war Familie Ruhe. Hermann Ruhe hat am Marktplatz 8 seine Kindheit verbracht.

Auch bei der nachfolgend aufgestellten Liste der Vorbesitzer sowie der wichtigsten historischen Eckdaten könnte es noch weitere Eigentümer des Hauses geben.

  • 1620: datierter Fundamentstein
  • 1692: Doktor Henricus Saalfeld (Holzer Bäuerschaft)
  • 1782: Bürgermeister Sander
  • 1838: Kämmerer Frobese
  • 1846: Kaufmann und Wirt Heinrich Sievers
  • 1846: Der große Stadtbrand, vermutete Brandreste im Haus noch heute sichtbar
  • 1873: Ruhe’sche Geschäftsverlegung von Grünenplan nach Alfeld
  • 1879: Kauf des Hauses durch Ludwig Ruhe
  • 1882: Einzug Ruhe
  • vermutlich ab 1948 (unbestätigt): Bert Rogge, „Goldschmiede Am Markt“
  • 2012: Susanne und Peter Schlegel
Undatiert (verm. aber um 1934/35 verfasst): „Eine früher altbekannte Gastwirtschaft befand sich in dem späteren alten Ruheschen Geschäftshaus, Marktplatz 8, jetziger Besitzer Prokurist Darnedde. Der letzte langjährige Wirt dieser Gaststätte hieß Kistenbügge. In dem kleinen Saal, der zum Teil heute noch vorhanden ist, fanden viele Versammlungen, sogar Konzerte und Theateraufführungen statt…“

Familie Ruhe
Ein Tierhandelsimperium von Weltruf

Die Firma L. Ruhe wurde 1860 in Grünenplan bei Alfeld durch Ludwig Ruhe gegründet und beschäftigte sich ausschließlich mit dem An- und Verkauf von Kanarien- und europäischen Wildvögeln. Die Vögel wurden zu dieser Zeit in Deutschland gekauft und zu Fuß in die Seehäfen gebracht von wo sie hauptsächlich nach Südamerika, Chile und Peru und Russland mit Segelschiffen gebracht wurden. Aus diesen Ländern wurden exotische Tiere mit nach Deutschland zurückgebracht.
Im Jahre 1873 verlegte Ludwig Ruhe sein Geschäft von Grünenplan nach Alfeld und es wurden dem reinen Vogel Im- und Export von Jahr zu Jahr immer mehr exotische Großtiere angeschlossen.
Einer noch nicht näher recherchierten Überlieferung nach, hat Ludwig Ruhe das Haus am Marktplatz 8 1879 erworben haben.
Um 1882 aber, zog Familie Ruhe schließlich in das Haus am Markplatz ein und sollte bis ca. 1904 der Hauptsitz des weltweit operierenden Tierhandelsimperiums sein, ehe dann die neu errichtete Quarantänestation mit „Vogelhaus“ an der Alfelder Kalandstraße in Betrieb ging, nachdem die Tierunterkünfte am Marktplatz den Ansprüchen des Weltmarktes nicht mehr genügten.
Vermutlich zu Beginn der 1950 Jahre wechselte das Haus abermals den Besitzer, Bert Rogge kaufte das Haus und gründete seine „Goldschmiede Am Markt“.
Die umfangreiche Geschichte der Firma Ruhe können Sie hier weiterlesen…


Bert Rogge
Gestalter von Ratspokalen und Bürgermeisterketten

Der Alfelder Goldschmiedemeister Bert Rogge reihte sich zu Beginn der 1950er Jahre in die Reihe der Eigentümer des Hauses am Markplatz ein. Weiterlesen…


Eine kleine Fotoauswahl über alles durch die „Jahrhunderte“