Friedel Büttner

Als die Amerikaner in Alfeld einfuhren, stand ich mitten auf der Leinebrücke. Wir hatten gehört, dass die Amerikaner nun kämen.
Es muss wohl gegen Mittag gewesen sein. Ich ging, natürlich nicht in HJ-Uniform (ich hatte einen Mantel an, der aus einer Decke geschneidert war), ihnen neugierig entgegen. Sie kamen die Göttinger Straße runter und hielten auf der Brücke an. Es waren mehrere große Panzer. Soldaten sprangen von den Fahrzeugen und kletterten zur Leine runter, um nachzusehen, oh Sprengsätze in die Brückenpfeiler eingebaut waren. Es waren zwar Sprengkammern da, aber keine Sprengbomben. Allerdings war Übungsrnunition in Massen über die Brücke geworfen worden.

Die Panzer fuhren weiter in die Leinstraße und bogen in die Marktstraße ein, hielten aber vor dem Marktplatz an. Bewaffnete Soldaten sicherten an den Häuserwänden entlanggehend die Fahrzeuge. Wir Jungens gingen immer mit.
Auf dem Marktplatz hatten sich Gruppen von Alfeldern eingefunden. Einer von ihnen, (der Kommunist) Benneckenstein ging auf die Soldaten zu und rief: “Freunde! Wir freuen uns, dass ihr uns befreit habt!“ (dem Sinne nach wenigstens). Aber einer der Amerikaner muss das wohl missverstanden haben, denn er ging drohend mit gezückter Waffe auf ihn zu. Der alte Hermann Ruhe, der auch da war, erklärte dem Soldaten auf Englisch, was Benneckenstein gesagt hatte, und so löste sich die bedrohliche Situation friedlich auf.

Es gab eigentlich in der Bevölkerung überhaupt keine kriegerische Stimmung, weder vor noch nach dem 8. April.
Die Nachricht: Die Amerikaner kommen! hatte sich wie ein Lauffeuer durch die Stadt verbreitet. Telefon funktionierte ja noch. Es haben wohl auch einige Ältere, Einsichtige zur Ruhe aufgerufen.
Vom Marktplatz gingen Offiziere ins Rathaus, und die Soldaten sicherten alle Straßen vorn Marktplatz aus. Die Panzer standen in der Marktstraße.

Nachmittags besetzten die Amerikaner einzelne Häuser und ganze Straßenzüge, eher außerhalb der Stadtmitte, z.B. Dr. Sommers Haus in der Hildesheimer Straße und Steuerberater Gattermanns Haus in der Kalandstraße. Dort hatten sie auch ihr Hauptquartier. Auch andere Häuser in der Kaland-, Wiegand-, Göttinger- und Hildesheimer Straße wurden besetzt. Die Bewohner mussten sich woanders Unterkunft suchen.
Sie haben sich eigentlich immer anständig benommen, z.B. haben sie alles gesammelt, was ein Hakenkreuz hatte, Koppelschlösser und so, aber sie haben meistens etwas dafür gegeben, Zigaretten vor allem und das nicht wenig.
Ausgangssperre wurde aber streng beachtet. Ich war mal am Tage draußen in der Wallstraße, wo mich aber eine Streife erwischte und nach Hause in die Holzerstraße begleitete. Nachts hätten sie mich vermutlich erschossen.

Ich war bei der Feuerwehr-HJ, und als die letzten Monate anbrachen, wurde in der Badeanstalt ein Wehrertüchtigungslager der HJ eingerichtet. Etwa 100 und eher mehr Hitlerjungen wurden dort aus der Umgebung und Alfeld natürlich zusammengeholt und für den Endkampf ausgebildet. Untergebracht waren sie in den Umkleideräumen der Badeanstalt und den Baracken in Richtung Röllinghausen.
Sie wurden ausgebildet an Karabiner, Maschinengewehr, Panzerfaust. Ausbilder waren irgendwelche Soldaten. Ich hatte zu meinem Vater gesagt: Da gehe ich nicht hin und wenn ich nach Westen abhauen muss.
Glücklicherweise bekam ich Weihnachten 44 ein Furunkel an sehr privater Stelle (Kimme) und wurde von Dr. Kamm operiert. Als der Stellungsbefehl kam (man muss sich das mal vorstellen: Vierzehnjährige bekommen einen Stellungsbefehl!), ging ich nach meiner Operation zum Bannführer Pöthe. Das war ein ganz Fanatischer.
Er hatte im Krieg einen Arm verloren und sollte wohl in Alfeld als Bannführer den Widerstand gegen den Feind organisieren. Als ich ihm sagte: ich kann keinen Dienst tun, richtete er seine Pistole auf mich und schrie: „Du willst wohl dein Vaterland nicht verteidigen!“ Aber irgendwie beruhigte er sich wieder.

Später war ich dann doch im Lager und musste kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner mit einigen anderen Hitlerjungen und unter Führung eines älteren Hitlerjungen nach Wettensen, um dort Posten zu beziehen. Wir hatten Waffen mit: Karabiner, Panzerfäuste.
Gottseidank hat uns am Nachmittag der Kreisleiter Koch zurückgeschickt. Wenn wir den Amerikanern uns in den Weg gestellt hätten oder überhaupt in deren Hörweite geschossen hätten, wer weiß, was dann mit Alfeld passiert wäre.