Einleitung

Wehe dem Besiegten!

Als in den ersten Tagen des Monats April 1945 die Kriegslage ein immer ernsteres Gesicht zeigte und die amerikanischen und britischen Armeen immer weiter nach Westen rückten, da rief man das Volk zur mit Verteidigung auf.
Man gründete den Volkssturm, man war versah die Leinebrücke mit Sprengmitteln, um sie beim Nahen der Feinde zu sprengen. Man versuchte die Straßen durch gefällte Bäume und andere Dinge zu sperren usw. usw.

Man war so leidenschaftlich erregt, dass man an die Folgen diese Handlungen nicht dachte.
So kam am Sonnabend dem 7. April der Bannführer der Hitlerjugend in das Zimmer 12 zum Bürgermeister Dr. Siegmund mit gezogener Pistole und stellte ihn sehr erregter Weise die Frage, warum die Verteidigung der Stadt und die Brückensprengung verboten wäre.

Der Bürgermeister wies auf das Sinnlose eines Widerstandes hin und dass die Stadt in Gefahr käme, vernichtet zu werden. Wie andere Städte, so würde auch Alfeld beschossen und in Trümmer gelegt werden.

Es kam zu einem scharfen Wortwechsel, in dem der Bannführer den Bürgermeister zu erschießen drohte und ihm die Pistole auf die Brust setzte. – Nur der besonnenen und ruhigen Haltung des Bürgermeisters war es zu danken, dass der Vorgang keinen blutigen Abschluss fand.
In wahnsinniger hast verschwand der „Führer“ um anderwärts mit den Jugendlichen Unheil anzurichten.
In Hörsum fand er ebenfalls Widerstand.
In Everode kam es zu einem Zusammenstoß mit dem dortigen Vorsteher, der erschossen wurde.

In Limmer hatten sich halbwüchsige Burschen zusammengerottet, die aber bald auseinandergetrieben wurden.
Grünplan und Delligsen meldeten Panzerspitzen.
Und da „lösten sich alle Bande der Ordnung“.
In Klein-Freden war ein großes Lager von Lebensmitteln, Mehl, Reis, Hülsenfrüchte, Dosen mit Fleisch, Konserven, Kaffee, Zucker, Öl, Wein, Branntwein – sowie Tabak, Anzugstoffe usw. usw. Diese Sachen waren bisher für die Bevölkerung nicht freigegeben. Nun setzte ein Sturm auf diese Lager ein. Man nahm, was man kriegen konnte, so soll der Kaffee zentnerweise organisiert worden sein, und Alfeld habe 1 Millionen Zigaretten bezogen.

Am Sonntag, dem 8. April mittags 12:00 Uhr kamen die ersten Panzerspähwagen von der Göttinger Straße her in die Stadt. Es muss hier vermerkt werden, dass Menschen, die am Zellulosewall versammelt waren, dem Feinde zuwinken und zujubelten.– auch ein Zeichen der Zeit.
Auf dem Marktplatze wurde vor dem Rathaus „Halt“ gemacht, Den uniformierten Polizisten wurden die Waffen abgenommen und zwang sie, mit den Händen hinter dem Kopf vor Ihnen die Straße her zu marschieren.
So dann erhielten sie den Auftrag, ihre Uniform auszuziehen und in Zivil mit vielen Hilfspolizisten, die eine weiße Armbinden mit der Aufschrift „MG Police“ trugen, Ordnungsdienst zu leisten.
In den ersten Nachmittagsstunden des 8.4.1945 bekamen die Einwohner die Wahrheit des Satzes „Wehe dem Besiegten“ zu spüren. Eine Anzahl Häuser verschiedener Straßen – wie Wiegand-, Heinze-, Hildesheimer- Kaland- und Göttinger Straße mussten binnen einer Stunde von den Bewohnern – nicht vom Mobiliar– geräumt werden.
Im Nu glich die Stadt einem Bienenschwarm. Überall wurden Körbe mit Lebensmitteln, Kleidungsstücken, Betten usw. auf Handwagen zu Bekannten und Verwandten, die besatzungslos geblieben waren, gebracht.

Es war eine aufregende Zeit.

Auch die Ausgehzeit wurde festgesetzt. In den ersten Tagen war sie von 9 bis 12 Uhr, sie wurde jedoch nach einigen Tagen gelockert.
Ab 4. Mai durften die Häuser von 6 Uhr 30 bis 20 Uhr 30 verlassen werden, jedoch nur in einer Entfernung von 6 Kilometern. Vom 12. Mai ab war das Ausgehen von 5 bis 21 Uhr abends erlaubt.
Sämtliche Verdunkelungsmaßnahmen wurden aufgehoben.

Und „Plündern“?

Nun, das ist ein ganz besonderes Kapitel. Und das kam so: Die Insassen der verschiedenen Lager – wie Russen, Polen, Italiener, Holländer, Belgier usw. waren in Freiheit gesetzt, fühlten sich als Herren und hausten ihrer Weise.
Die Gebäude im städtischen Freibade wurden arg mitgenommen.  Was nicht niet- und nagelfest war, wurde mitgenommen. Schweine wurden abgestochen, Hühner, Enten, Gänse wurden nicht verschont. Den Bauern schlachteten sie das Vieh auf der Weide. Aus der Alfelder Molkerei war ihnen alles essbare mitnehmenswert und wer ihnen entgegentrat, war seiner Gesundheit und seines Lebens nicht sicher.

Im Hochhaus am Bahnhof hatte die Wehrmacht ein gewaltiges Sammellager, dass am 20.4. Von Polen und Russen gestürmt wurde. Dabei erschossen sie zwei Hilfspolizisten. Auch das Hotel Kaiserhof war ihnen in die Augen gefallen. Russen, Polen, Italiener stürmten es und raubten Tische, Stühle, schränke, Betten, Ess- und Kaffeegeschirr usw. usw. Der Besitzer und sonstige Einwohner wurden hinausgeworfen und dann nisteten sich die Fremdländer hier ein.
Fahrraddiebstähle wurden laufend gemeldet. Ja, den Mädchen und Frauen wurde auf den Straßen die Räder einfach weggenommen.
Auch die Gartenbesitzer waren sich ihres Lebens und ihrer Brüchte nicht sicher. – diese Blütenlese könnte seitenlang verlängert werden, doch wir wollen davon absehen und ein anderes Kapitel aufschlagen.

Etwas vom Zeitungswesen

Anfang Mai erschien im Verlage P. Dobler, Alfeld wieder ein Zeitungsblatt, dessen Titel lautete:

– Nachrichtenblatt für Stadt und Landkreis Alfeld, Veröffentlichungsorgan der Stadtverwaltung Alfeld und anderer Behörden. –

In der Hauptsache wurden in dem Blatte die Bekanntmachungen der Militärregierung veröffentlicht. Zwei Nachrichtenblätter sind eingefügt worden.
Nach einer Bekanntmachung in dem Nachrichtenblatte mussten alle Funksendegeräte, Brieftauben, private Anlagen für Nachrichtenverkehr gegen Empfangsbescheinigung abgeliefert werden.
Ebenfalls waren alle Radioapparate und Fernsprecher bei der Stadtverwaltung anzumelden.
Am 12. Mai 1945 wurde auf‘ Papptafeln, bekannt gegeben, dass sämtliche Ferngläser und Fotoapparate beim Photographen Wilhelm Bockelkamp, Marktstraße 7 mit Namen versehen abzugeben seien.
Am 29. Mai wurde eine Anzahl Beamten und Angestellten der Stadtverwaltung die fristlose Entlassung mitgeteilt.
Da die amerikanische Besatzung Alfeld zu verlassen hatte, so fand am 1. Juni 1945 die Übergabe der Stadt an den englischen Kommandanten statt. Der Einzug der englischen Besatzung war mit allerlei unangenehmen Überraschungen verknüpft.

  1. Die Truppen wurden in der „Roten Schule“ untergebracht, da die „Weiße Schule“ Reservelazarett wurde, so blieben die Schulkinder lange Zeit ohne Unterricht.

Das Haus Kalandstraße 22 beschlagnahmte man auf 5 Jahre. Auch die an der Bismarckstraße gelegenen, dem Bauverein gehörenden drei Sechsfamilienhäuser mussten geräumt werden von den Bewohnern. Das Mobiliar jedoch wurde beschlagnahmt. Stücke jedoch, die nicht gefielen, wurden hinausgesetzt. Dafür holte man noch aus den Häusern:

  • des Fabrikanten Meyer – Kaiser-Wilhelm-Straße 42
  • des Direktor Eggert – Kalandstraße 20
  • des Tierhändler Ruhe – Kalandstraße 17
  • des Fabrikanten Heise – Hannoversche Straße
  • des Postinspektors Schneider –
  • des Fabrikanten Benscheidt – Kaiser-Wilhelm-Straße

und viele andere – das beste Mobiliar, Betten, Teppiche, Gardinen usw.

Vom 15. Juli ab fand eine Veränderung der Ausgehzeit durch die Militärregierung statt.

Hier die Anordnung:

Neue Ausgehzeit

Die Kreiskommandantur der Militärregierung hat die Ausgehzeit wie folgt festgesetzt:

1945
Vom 15. bis 28. Juli, von 4,45 bis 22 Uhr
vom 29. Juli bis 11. August, von 5.15 bis 21,40 Uhr
vom 12. August bis 25. August von 5,30 bis 21,30 Uhr
vom 26. August bis 7. September, von 6 bis 21 Uhr

Die am 29. Mai erfolgte Kündigung und Entlassung von Beamten der Stadtverwaltung wurde teilweise zurückgezogen. Um den Kassenbetrieb nicht ins Wanken geraten zu lassen, war es nötig den Kasseninspektor Förster wieder einzusetzen.

Einige Tage nach dem Einzuge der Engländer beschlagnahmte man den Ratskeller und verbot dem Einheimischen das Betreten desselben.
Ein Schild an der Eingangstür zeigte folgende Inschrift:
„Der Eintritt in diese Gaststätte ist nur Angehörigen der englischen Truppen gestattet. – Das Betreten durch deutsche Zivilangehörigen ist bei Strafe verboten.“

Zu Stadträten ernannte die nur ganz kurze Zeit amtierende Bürgermeister
„von Ehrenkrook“ die Herren

15.06.1945
Heinz Scholt
(?) Karl (?)
Heinrich Rinne

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Am 21.6.1945 durften 4 Polizeibeamte in voller Uniform – aber waffenlos – ihren Dienst wieder antreten.

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1. Juni 1945
Die Heulsirenen, die seit dem Einzuge der Amerikaner geschwiegen hatten, durften wieder in Tätigkeit treten, um den Alfeldern 10 Uhr 30 – das Zeichen zum nachhause gehen zu geben.

Quelle: Auszug aus der sog. „Windel’sche Chronik“ 1950