Der Ludwig…

„Wohlstand für Alle“ – Ludwig Erhard in Alfeld
Der Optimist mit der Zigarre – das Leitbild der Wirtschaftswunderzeit

Der Mann, über dessen Parteizugehörigkeit in der CDU man sich bis heute streitet, liebevoll seinerzeit der „Dicke“ genannt, hielt im Rahmen des Bundestagwahlkampfes am 4. September 1965 Hof in der guten Stube der Alfelder, auf dem Marktplatz, um zu den Bürgerinnen und Bürgern zu sprechen.
Erhard, zweiter Bundeskanzler (1963-1966) der Bundesrepublik Deutschland, Synonym für das deutsche Wirtschaftswunder und der sozialen Marktwirtschaft der Nachkriegszeit hoffte durch sein mächtiges Erscheinungsbild und redegewandetes Auftreten auf die Stimmen der Alfelderinnen und Alfelder.
Ludwig Erhard wollte Bundeskanzler bleiben, das merkte man ihm an.
Schätzungen zufolge sollen sich bis zu 5000 Menschen aus dem gesamten Stadtgebiet, dem Landkreis und weiten Teilen der Region auf dem Alfelder Markplatz versammelt haben nur um das personifizierte Wirtschaftswunder nicht nur einmal im Leben in Natura
gesehen, sondern auch gehört zu haben:

Bundeskanzler Prof. Dr. Ludwig Erhard (CDU)

Erhard befand sich im September 1965 auf seiner dritten
Wahlkampfreise durch Niedersachsen.
Er hatte vorweg in der überfüllten Hildesheimer Sporthalle und vor etwa 1000 Zuhörern auf dem Rolandsplatz in Elze gesprochen wo er verspätet eingetroffen war, weil seine Fahrzeugkolonne vor der Poppenburger Bahnschranke längere Zeit halten musste.
Die Ankunft in Alfeld verzögerte sich ebenfalls um eine Stunde, weil ihm und seinem Tross das gleiche Missgeschick hinter Elze passierte.

Die sich immer mehr verstärkende Menschenmenge auf dem Alfelder Marktplatz hielt aber geduldig aus, sie wurde durch zünftige Marschmusik aus einem Lautsprecher und dem zackigen Spiel der Blaskapelle des Männergesangvereins Burgstemmen unterhalten, die in Alfeld einen vorzüglichen Eindruck hinterließ.

Neben einem größeren Polizeiaufgebot sorgte außerdem ein Zug der Freiwilligen Feuerwehr Alfeld (Leine), unter der souveränen Leitung des stellvertretenden Stadtbrandmeisters Willi Herwig für Ordnung um die Absperrung vor dem Bühnenwagen durchzuführen, der vor dem Rathaus aufgestellt war.

5000 hörten den Bundeskanzler auf dem Marktplatz

Plötzlich, fast wie aus dem nichts, war es dann soweit: um 12.20 Uhr fuhr die Fahrzeugkolonne des Bundeskanzlers auf den Markplatz ein. Angeführt von einem dunkelgrünen Porsche 911 bog der schwere 600er Mercedes mit der gewichtigen Persönlichkeit im Fond als zweites Fahrzeug mitten in die Menschenmenge, direkt vor die Bühne.

Hunderte von Kindern, aber auch zahllose Erwachsene standen in den ersten Reihen und schwenkten schwarz-rot-goldenen Fähnchen.
In Begleitung des Bundeskanzlers befand sich der Bundestagsabgeordnete und CDU-Kandidat für den Wahlkreis Alfeld-Einbeck- Holzminden, Dr. med. Jungmann. Dieser stellte dem Kanzler die Landtagsabgeordnete Frau Helene Lange, den Kreisvorsitzenden Prof. Dr. Pasternack, den CDU-Ortsvorsitzenden Altwasser und den Fraktionsvorsitzenden der örtlichen CDU, Herbert Kiszka vor.

Professor Dr. Ludwig Erhard: … und ich will auch Kanzler bleiben!
Als der Bundeskanzler, den im Schatten des Alfelder Rathauses aufgebauten Bühnenwagen bestieg, wurde er aus der Menge mit langanhaltendem Beifall begrüßt. Die Strapazen des Wahlkampfes waren ihm nicht anzumerken.
Kreisvorsitzender Prof. Dr. Pasternak begrüßte Prof. Dr. Erhard aufs herzlichste in Alfeld und erteilte ihm sofort das Wort. Ohne längere Einleitung gab der Bundeskanzler zunächst einen Rückblick auf das unter Führung der CDU im Bundestag und in der Bundesregierung in den vergangenen Jahren Geleistete.
Seine Rede trug Erhard im Wesentlichen freihändig, oftmals unter Beifall, aber auch von Pfiffen unterbrochen, souverän den interessierten Zuhörern vor.

„Sie wählen nicht nur einen Bundestag, sondern auch den Bundeskanzler und der steht vor Ihnen!
Ich will es auch bleiben!“

Mit diesen Worten schloss der designierte Bundeskanzler Prof. Dr. Erhard seine rund 15-minütige Rede.

Unter Fähnchenschwenken, Beifallsäußerungen der Menge und vielen Händedrücken bestieg er seinen Wagen, wo er sofort wieder seine unentbehrliche Zigarre in Brand setzte. Die Fahrt ging zunächst nach Einbeck, wo er vor 4000 Zuhörern und nach Northeim, wo er vor etwa 1000 Kundgebungsteilnehmern sprach. In Göttingen, wo es während seiner Ansprache fast turbulent zuging, hatte er etwa 2000 Zuhörer. Seine dritte Wahlreise durch Niedersachsen endete am Abend in Hann. Münden.

Eine Erhard – Zigarre
Nicht alle Tage „bekommt man eine Zigarre“ schon gar nicht vom Bundeskanzler.
Die Gelegenheit einer Zwangspause der „Kanzler-Kolonne“ am Sonnabendmittag auf der Fahrt von Elze nach Alfeld vor der Bahnschranke in Banteln nutzte ein Einwohner aus Banteln:
Er trat an den Wagen des Kanzlers und fragte ihn nach seiner Zigarrenmarke. Mit freundlichen Worten bekam er prompt eine Zigarre vom Bundeskanzler geschenkt.
Auf der Banderole stand die Marke „Professor Erhard“. Diese Zigarre solle nicht geraucht werden, sondern als Andenken an diese seltene Begebenheit aufbewahrt werden.

Nach kurzer Zeit wurde dann die Schranke geöffnet, die Kolonne konnte die Fahrt fortsetzen. Infolge der dichten Zugfolge auf der Nord-Süd-Strecke musste die Schranke bald wieder geschlossen werden. Wahrscheinlich in der Begeisterung, der Kanzler-Kolonne „auf den Fersen“ bleiben zu wollen, wollte ein Journalist aus Elze noch unter den sich senkenden Schranken den Bahnübergang überqueren. Sein Eifer wurde ihm aber dabei zum Verhängnis, er fuhr mit seinem Wagen gegen den westlichen Schrankenarm, der daraufhin beschädigt wurde und durch einen neuen ersetzt werden muss.
Die Polizei, damals noch als echte „Hüter des Gesetzes“ unterwegs, war wegen der Kanzler-Kolonne gerade noch anwesend und nahm den Schrankenunfall sofort auf. Außer Sachschaden und einem gehörigen Schrecken war glücklicherweise nichts passiert.


„Wohlstand für Alle“ ist ein von Ludwig Erhard geschriebenes Buch. Es erschien 1957.
In diesem populärwissenschaftlich geschriebenen Titel legte der damalige Bundeswirtschaftsminister der regierenden CDU seine Vorstellungen zur Sozialen Marktwirtschaft dar.