Die Alfelder Badstuben

Jeder kennt die vier Häuser, die auf dem Kirchplatz gegenüber der Nicolaikirche stehen. In dem oberen, das jetzt einen Teil der Museumsschätze enthält, war früher die 2. Schule.
Die anderen drei Häuser sind vor etwa 300 Jahren neu aufgebaut worden. Sie stehen auf einem stark gewölbten Keller mit dicken Mauern, der sich unter allen drei Häusern hinzieht.
Hier befanden sich bis zum Beginn des 16. Jahrhundert die Alfelder Badstuben. Gleich mit der Stadtgründung – kurz nach 1230 – sollen sie entstanden sein.
Zu dieser Zeit gab es noch keine Wasserleitungen. Wer Haus und Familie sauber halten wollte, musste das Wasser von weither schleppen. Bis zu einem der drei offen fließenden Warnearme musste er gehen.

Da war es schon einfacher und vergnüglicher, einmal in der Woche mit der ganzen Familie die Badstuben zu besuchen. Männer und Frauen durften gleichzeitig hinein. An Dienstagen, Donnerstagen und Samstagen war geöffnet. Hier traf man sich mit Freunden und Geschäftspartnern, hier nahm man Wannen-, Schwitz- und Dampfbäder.
Und damit auch arme Alfelder Einwohner in den Genuss eines Bades kommen konnten, stifteten die reicheren „Seelenbäder“, Gelder, wovon der Eintritt bezahlt werden konnte.
Der Bader und seine Gehilfen hatten viel zu tun, bis die Besucher eingelassen werden konnten.
Zuerst mussten die großen Kachelöfen mächtig geheizt werden, damit die darauf liegenden großen Steine ordentlich heiß wurden.
Viele Holzeimer mit Wasser mussten auf dem Markt aus der Warne geschöpft und ins Haus getragen werden. Das Wasser musste nun auf Kohleöfen heiß gemacht werden, damit es in die riesigen hölzernen Wannen gegossen werden konnte. In diesen Wannen hatten etliche Leute gleichzeitig Platz.
Ein Teil des Wassers wurde mit duftenden Kräutern gekocht und für Dampfbäder auf die heißen Steine gegossen.
Neue Birkenreiser mussten zurechtgeschnitten werden, damit den Badenden auf Wunsch der Rücken gepeitscht werden konnte, was einer Massage gleichkam. Holzkübel und -eimer wurden für das Begießen der Gäste bereitgestellt.
Wer gebadet hatte, konnte sich im Ruheraum ausruhen oder auf den terrassenförmig ansteigenden Bänken (fast wie in unserer Sauna) im Dampf schwitzen.
Aber auch aus anderen Gründen ging man zum Bader. Denn der verstand noch mehrere Künste. Die übte er in einem besonderen Raum aus. Dort scherte er den Männern die Barte. Er schnitt die Haare und, wenn es nötig war, auch die Nägel. Er war also auch Frisör.
Wer Zahnschmerzen hatte, musste auch zum Bader. Dort wurde aber kurzer Prozess gemacht. Der Meister nahm die Zange und zog den Zahn, ohne Betäubung natürlich.

Auch wer sich krank oder schwach fühlte, ging zu ihm. Er half den Menschen, indem er ihnen etwas von ihrem kranken Blut abnahm. Entweder ließ er sie zur Ader – dabei schnitt er eine Ader an und ließ etwas Blut abfließen – oder er „schröpfte“. Das konnte auf verschiedene Weise geschehen: Er setzte Blutegel an die kranken Stellen, oder er ritzte die Haut und saugte Blut durch einen ,,Schröpfkopf“ aus Glas oder Messing ab.
Das war also der Bader: Bademeister, Frisör, „Zahnarzt“ und „Arzt“, alles in einer Person.
Leider gingen mit dem Ende des Mittelalters die Badstuben ein. Man glaubte, dass viele Krankheiten hier übertragen wurden. Den Badstuben gab man die Schuld an Pest und anderen schlimmen Seuchen.
Aber noch viele Jahre lang hieß die Straße, die jetzt „Hinter der Schule“ genannt wird, die „Stovenstraße“ und erinnerte damit an die Badstuben, die „Stoven“.

Quelle: Gertraud Niemann aus Alfelder Geschichten, 1983