Der Stammtisch als solcher

Das deutsche Wort „Stamm“ beinhaltet etwas Erdverwachsenes, Handfestes, Verlässliches, Dauerhaftes.
In Verbindung mit anderen Wörtern wird dieses Sinnbildliche noch deutlicher: Beispielsweise in Stammvater, dem Ursprung aller Dinge, oder Stammhalter, auf dem die Hoffnungen gekrönter Häupter oder von Familie Müller ruhen. Ein Stammbaum kann die bildhafte Darstellung ganzer Geschlechter oder auch einfach ein Baum sein den man für sich allein erkoren hat.
Und dann Stammtisch der Versammlungsort gestandener Männer,“ rund um ein Tableau. Wer nun meint, und böse Zungen behaupten es immer wieder, der Stammtisch sei eine urdeutsche Erfindung, so irrt sich der. Ob ich nun wie in anderen Ländern mich auf Stehpartys zu Tode langweile, oder mich in Bistros an der Theke rumflegele – was ist denn da der Unterschied zu den Stammtischbrüdern. Nun zugegeben: es hat Stammtische gegeben, und die soll es auch heute noch geben, an denen Schlachten geschlagen wurden und nach wie vor geschlagen und gewonnen werden. Aber das hat nach meinen Erfahrungen eh stark nachgelassen. Doch Politik wird nach wie vor gemacht, am Stammtisch, auf der Stehparty und im Bistro.
Und Geschäfte werden vorbereitet. Nun scheint aber die Zeit gekommen, dass der Stammtisch als Institution ausstirbt wie frühere Tiergattungen, zum Beispiel die Saurier, die auch aus welchen Gründen immer, keine Lebensgrundlage mehr fanden und sich vom Erdball verdrückten. Die Gründe für das langsame Dahinsiechen der Stammtische sind bekannt: Im Fernsehen läuft das Fußballspiel oder Lohengrin, die Zeiten sind viel zu hektisch geworden, um ihnen noch ein paar gemütliche Stunden abzuknapsen – es ist eben alles nicht so wie früher, zu den hohen Zeiten unseres Stammtisches von dem hier die Rede sein soll.

Stammtische haben keinen Vorsitzenden, höchstens einen Pfiffigen, der stets aufpasst, wer eine Runde ausgeben muss. Dann drücken die Daumen die Tischplatte und der Ober weiß Bescheid. Unser Stammtisch hatte einen Vorsteher, nicht nur das: seit Gründung vor vielen Jahren verfügte er stets über einen Präsidenten. Und so wurde er auch angeredet, mit „Herr Präsident.“ Es wurde stets ein Mitglied gewählt, das über eine gehörige Portion Humor verfügte, und das man, wie man so zu sagen pflegt, auf den Arm nehmen konnte Manche wurden „ran genommen“ dass ihnen Hören und Sehen verging. Von manchen aber weiß man heute noch nicht, wer nun eigentlich wen verschaukelt hat. Zum Letzteren gehörte auch der Präsident, der den Ruf des Stammtisches weithin bekannt gemacht, und den in Erinnerung zu rufen eine Pflicht sein muss.

Seine „Untergebenen“ setzten sich aus Juristen, Doktoren, Kaufleuten, Fabrikanten und anderen würdigen Männern zusammen.

Der Stammtisch sollte aus Bohlen bestehen, möglichst aus dicker Eiche, denn eine Stammtischplatte hat einiges auszuhalten. Manchmal hämmern die „Brüder“ mit den Fäusten auf den Tisch und das muss dann dröhnen, sonst ist das Hämmern zwecklos.

Über dem Tisch hängt meist ein sinnvoller Spruch:

„Wo willste denn man schon hin“ oder „Einen können wir noch!‘

Diese Sprüche werden ziemlich ernst genommen. Ein Stammtisch sollte auch eigentlich von rundlicher Form sein, rund, weil das im Zeitalter der Demokratie die Gleichberechtigung fördert und jeder jedem in die Augen sehen kann.
Das soll eine Erfindung schon König Arturs gewesen sein, dieses sagenhaften Kelten. Man spricht von 50, andere sogar von 150 Rittern, die er ununterbrochen um sich versammelte, um mit ihnen unheimliche Mengen von Met und Wein, zentnerweise Wildschwein und Riesenhirsche in sich hineinzugießen, und zu schlucken. Was natürlich wieder eine der üblichen irischen Übertreibungen ist. Der „Stammtisch“ von König Artur soll aus einem Baumstamm geschnitten worden sein. Sagt man. Überhaupt kann das mit der demokratischen Einstellung der Ritterrunde damals auch nicht so recht geklappt haben; denn über liefert ist auch, dass es manchmal ganz schön Zoff gegeben hat Und das die Frau vom König mit seinem besten Freund ins Bett… also so was kommt heute bei Stammtischbrüdern nicht mehr vor. Der Freund soll sich übrigens grade auf der Suche nach dem heiligen Gral befunden haben, Dicke Lüge, der hat was ganz Anderes gesucht und gefunden…

Diese Abschweifung sei gestattet und soll nun ihr Ende haben. An dem besagtem® Stammtisch waren nicht nur Spruch e zu sehen in Form von schmiedeeisernen Dekorationen, sondern es fielen im Laufe einiger Stunden manche kernige Worte. Sehr selten politische, mehr schon aus dem Berufsleben, denn manch einer benutzt auch mit Recht diese Zusammenkunft um seinen seelischen Stuhlgang loszuwerden.

Zum Beispiel solchen:
Da saß der Leiter des örtlichen Amtsgerichts mit seinem Büro Vorsteher vor der Eichenplatte. Es war schon recht spät geworden,
die übrigen „Brüder“ hatten sich schon verzogen, nur die beiden starrten sich an, hoben ab und zu ihr Glas, zogen an den dicken Zigarren, die natürlich immer der Boss spendiert hatte.

Dann sagte der Herr Richter zu seinem Adlatus:

„Mein Guter, Du hast die Grenze Deines geistigen Horizontes bei weitem überschritten.“ Sein Gegenüber wurde blass. Er hatte zwar nicht verstanden was sein Herr und Gebieter damit meinte, aber es schien so was Ähnliches wie eine Beleidigung zu sein. Er schluckte, und dann sprudelte es aus ihm heraus (und das Wort wurde ein geflügeltes): „Mein lieber Mann, und Du bist mich dich ein ganz
Großes A…loch“. Sprach’s hob sein Glas, trank es aus und wankte hinaus, einen sprachlosen Chef zurücklassend.

In unserem besagten Fall also gab es keinen runden Stammtisch weil er viel zu viel Platz wegnimmt. Jeder hat seinen Sessel und danach richtet sich der Andere. Nur ein Stammtischableger muss sein, ein runder: Wenn mal ein zünftiger Skat gedroschen werden soll. Der Herr Wirt, meist auch Mitglied der Bruderschaft, hatte eines Tages drei Freunde zu einem solchen eingeladen. Es ging um eine Runde Bier mit Kompott, also mit einem Kurzen. Es war das erste Spiel und der Herr Wirt hatte unheimliches Glück. Drei Jungen, gar nicht zu verlieren. „Grand Hand“ „Halt“, rief sein Gegenüber, „mit Kontra“ Der Wirt zuckte zusammen. „Bist Du verrückt, ich sage Euch, das könnt ihr nie gewinnen. Also Re.“ Nichts zu machen. „Und einen drauf“. „Auf geht’s“, knurrte der Wirt. Die Karten flogen wie geschmiert Und der Gastgeber hatte genau 59.Er zählte viermal, darin erhob er sich und sagte nur ein Wort „Raus“:
Damit wies er seinen besten Freunden die Tür. „Ihr seid Betrüger und Falschspieler“, was ja wohl dasselbe ist. Die Mitspieler erhoben sich wortlos und schritten zur Tür auf den Marktplatz, natürlich ohne zu zahlen. Schließlich kannten sie ihren „Pappenheimer“.
Sie marschierten ums Viereck und in gehörigem Abstand an dem Lokal vorbei. „Da steht er an der Tür, nicht hingucken.“ Dann erscholl es laut über den Marktplatz: „Meine Herren wo wollen Sie hin, darf ich Sie zu einem Drink einladen?“ Natürlich marschierten sie im Gleichschritt wieder in das Lokal, wie gesagt, sie kannten ihn. Und er hatte die Karten auch schon gemischt, die Doppelrunde stand auf dem Tisch. Nur mussten sie die Runde zu dreien weiterspielen. Den Vierten hatte es erwischt: Beim Rundgang traf er, er soll so etwas wie „verfluchter Mist“ gemurmelt haben, seine liebe Frau. Und die hat ihn abgeschleppt.
Aber auch die Übriggebliebenen verstanden Ihr Handwerk mit Kreuzbube und Pik-As, denn der Wirt hat an dem Tag noch manche Runde werfen müssen.
Und was sonst noch so alles an einem Stammtisch passieren kann, ist aus den folgenden Geschichten zu entnehmen, die weitgehend der Wahrheit entsprechen.

Sollten sich Personen wieder erkennen, nun, so ist das gewollt!