Das Jubiläum oder Grüße aus aller Welt

Dem Stammtisch stand ein großer Tag ins Haus. Einer der Brüder hatte, um Abwechslung zu garantieren, einen Tag des Jubiläum ausgegraben. Der Stammtisch bestand soundsoviele Jahre. Es war eine Runde Zahl. Keiner prüfte sie nach, warum auch. Hauptsache es tat sich was.
„Wir werden“, so sagte der Präsident“, den Tag würdig begehen Und er bat um Vorschläge.
„Ich bin für ein Festessen, bestehend aus Rinderwurst mit Pellkartoffeln“, schlug der Kaufmann vor.

„Der hat sie nicht alle, Rinderwurst als Festessen“, hörte man vom Tischende: „Wiener Schnitzel mit Ei, Schnitzel können wir alle Tage essen. Was Besonderes muss her, Schnecken, Kalbshaxen mit Beilage“ so schwirrten die Vorschläge durcheinander, sie wurden immer abenteuerlicher. Was exotisches, oder vielleicht Wildschwein.

Der Präsident bewegte die Klingel. „Ich bitte, meine Herren, das können wir doch nur zusammen mit dem Wirt besprechen.“ Die Debatte dauerte noch länger an. „Der Wirt hatte doch mal Bärenschinken auf der Speisekarte“, machte der Jurist einen letzten Versuch, das Thema noch ein wenig auszudehnen. „Ich mag keinen Bären“, sagte der Menschendoktor. Schließlich verlief die Debatte im Sande, man wollte die Vorschläge des Hausherren hören.

Das Programm wurde aufgestellt: Punkt eins: Treffen im Vereinslokal, Punkt zwei: Begrüßung und Festansprache des Präsidenten, Rückblick auf die Vereinsgeschichte, Punkt drei: Ehrung verdienter Mitglieder, Punkt vier, und das war eine Besonderheit, Besuch eines Industriebetriebes mit an schließendem Aufenthalt und gemütlichem Beisammensein in einer Jagdhütte. Dazu hatte ein Industrieller, ebenfalls Mitglied des Stammtisches aus einem Nachbarort, eingeladen. Es wurde ein denkwürdiger Tag.
Festlich gewandet war alles pünktlich zur Stelle, die Tafel geschmückt mit Grün und Blumen, die Ansprache gewürzt mit vielen kleinen Begebenheiten.
Man schritt zum Speisen, es gab Köstlichkeiten aus Küche und Keller en masse und ehrte einige Mitglieder. Dann erschien der Wirt: „Herr Präsident, im Vestibül wartet der Briefträger.“ Die beiden Kaufleute sahen sich kurz an und grinsten, es konnte losgehen. Der Präsident: „Bitten Sie den Mann herein.“ Der Postbote erschien, grüßte durch Anlegen der rechten Hand an die Mütze und meldete: „Herr Präsident, ein Telegramm, “ und überreichte das Formular.

Der Präsident las und seine Augen wurden rund. Der Text:

An den Stammtisch. Herzlichen Glückwunsch zu Jubiläum.
Unterschrift: Der Bundesminister für Sport und Verkehr. Donnerwetter, entfuhr es dem Vorstand, „schenken Sie dem Postherren einen ein“, sagte er und verabschiedete den Boten. Nur für wenige Minuten, dann war er wieder da.

„Noch ein Telegramm“, eilte er herbei.

Das ging eine geschlagenen halbe Stunde so. Telegramme kamen vom Bundespräsidenten Heuß, vom Regierungspräsidenten, von der Landesregierung in Hannover, gez. Hinrich Wilhelm Kopf, von einem Damenkegelklub aus Holland, mit einer Einladung. Von Stammtischen aus München, Oberhausen und Klein-Flottbeck und Berlin Charlottenburg, es gratulierten ein Diplom-Psychologe aus Leipzig und der Herr Graf aus Luxemburg. Und nach jedem Telegramm wurde dem Boten einer eingeschenkt. Es waren 14 oder 16 Grüße die er überbringen musste, dann sagte er: „Ich kann nicht mehr“, hatte einen Schluckauf und verschwand mit seiner Tasche, leicht schwankend.

Er hinterließ einen überaus glücklichen Präsidenten und eine Gesellschaft, die immer wieder den beiden Kaufleuten auf die Schultern schlugen. Warum, das konnte sich Der Präsident nicht erklären.
Es folgte der zweite Höhepunkt: Fahrt zur Besichtigung des Industriebetriebes im Nachbarort. Standesgemäß fuhr ein großer Wagen einer bekannten Luxuskarossen-Fabrik vor, mit Chauffeur und einem größeren Stander auf dem Kotflügel. Darauf stand schlicht und einfach: „Der Präsident“. Den hatte man für diesen Tag extra anfertigen lassen. Gefolgt von zwei weiteren Fahrzeugen setzte sich denn der Präsidentenwagen in Bewegung und rollte aus der Stadt, bestaunt von den Fußgängern von denen der eine oder Andere sogar applaudierte.
An der Grenze des Nachbarortes standen zwei weißbehelmte Motorradfahrer mit ihren Maschinen bereit, setzten sich an die Spitze und leiteten den Konvoi mit anhaltendem Hupen durch das Eingangstor der Fabrik.
Und hier hatte sich der Hausherr etwas einfallen lassen: Wie zum Appell angetreten standen hier die leitenden Angestellten und Meister auf dem Hof und erwarteten den hohen Gast Eingehend erkundigte sich der Stammtisch-Präsident nach dem Gang der Fabrikation, ließ sich jeden vorstellen, sagte dann dem Fabrikanten: „Lassen Sie bitte weiterarbeiten‘. Man durchschritt die Hallen und fuhr dann wieder ab in Richtung Wald zur Jagdhütte.
Der Rest war Schweigen. Keiner weiß heute mehr wie die Geschichte ausgegangen ist. Es soll ein ganz furchtbares Besäufnis geworden sein in dessen Verlauf der Präsident freiwillig immer wieder seinen einzigen Witz erzählte. Bis einer der Brüder durchdrehte und dem Präsidenten an den Kragen wollte.
Niemand aber hat jemals verraten, dass das Jubiläum reinweg erfunden war und die Telegramme, die im Archiv des Stammtisches liegen, natürlich fingiert waren. Eine Idee der beiden Kaufleute, von denen noch die Rede sein wird.