Als wir noch in der Leine badeten

Wo heute die Leine dicht an dem Schlehbergring vorbeifließt, hatte schon 1892 ein Schwimm- und Badeanstaltsverein eine Flussbadeanstalt errichtet. Den Ausbau und die Erweiterungen nahmen die Mitglieder dieses Vereins vor, als infolge des Hochwassers im Jahre 1909 die ursprüngliche Badeanstalt fast völlig zerstört worden war. Das Wasser der kühlen Leine floss durch zwei aus Holz gezimmerte Becken, und etwas beherzt mussten wir schon sein, wenn wir baden und schwimmen wollten. Nach dem Ersten Weltkrieg übernahm der Schwimmklub „ Poseidon“ diese Badeanstalt.
Über die Leine führte ein Holzsteg. fest verankert auf großen Tonnen, zum anderen Ufer, und von dort konnten wir auf einem schmalen Trampelpfad nach etwa 200 Metern die Sandbank unterhalb der damaligen Föhrster Holzbrücke erreichen Die Brücke wurde wegen Baufälligkeit vor längerer Zeit abgerissen. Wenn wir nun von hier aus zur Badeanstalt zurückschwammen, uns in der Strömung des Wassers streckenweise treiben ließen, überkam uns ein großes Glücksgefühl in der schönen. freien Natur. Umweltfragen, gar Verschmutzung, beschäftigten uns nicht, denn Industriewerke größerer Art waren weder in Freden noch in Kreiensen an die Leine angeschlossen, und im Übrigen erneuerte sich das Wasser von selbst. Zwar war die Leine nach Regenfällen wie heute etwas lehmig und muddig, doch das störte uns nicht. Auch konnte es mal vorkommen, dass ein totes Kalb oder Schwein vorbeitrieb.

In der Badeanstalt hatte der alte Bademeister Wienecke alle Hände voll zu tun, um den Badebetrieb zu überwachen. Später übernahm sein Sohn, immer braungebrannt, das Regiment. Viele Jungen und Mädchen gingen durch seine Schule, denn alle wollten das Schwimmen erlernen und sich möglichst bald freischwimmen. Obwohl es streng verboten war versuchten wir nach den ersten Kenntnissen die vielgepriesene ‚Tragfähigkeit“ der hier vier Meter tiefen Leine zu erproben: es klappte wunderbar.

Die Schwimmvereine „Poseidon und „Wasserfreunde‘ hatten viele Mitglieder und waren am Sommerende stolz auf die neue Anzahl von Freischwimmern. Höhepunkte waren die Schwimmfeste, die wegen ihrer Attraktionen bei der Bevölkerung großen Anklang fanden. Wenn dann bei Eintritt der Dunkelheit der Wassergott das Zeichen zum großen Lampionschwimmen gab, drängten sich die Menschen auf der Leinebrücke und bewunderten das bunte Leben und Treiben auf dem Fluss.

Später, am Ende der zwanziger Jahre, wurde in die Liege- und Spielwiese ein neues Becken aus Beton gebaut, in das Leinewasser gepumpt wurde, das man von Zeit zu Zeit erneuerte, denn es war natürlich schneller dreckig als das Wasser in der bisherigen Anlage. Dafür war es meist etwas wärmer. Hier tummelten sich viele Kinder, die sich mit einer dicken Korkplatte das Schwimmen beibrachten. Oftmals war es in den Becken so muddig, dass man Tauchende nicht erkennen konnte; wodurch allerlei Allotria ermöglicht wurde.
An der Kasse saß die Schwester von Herrn Ewald Wienecke. Sie verkaufte nicht nur Eintrittskarten für 10 Pfennig, sondern auch Süßigkeiten. Aber nur wenige verfügten über Taschengeld. Die meisten verzichteten lieber auf Bonbons, wenn sie dafür am nächsten Tag von ihrer Mutter wieder die Erlaubnis fürs Baden erhielten. Es darf aber auch bemerkt werden, dass es schon für 2 oder 5 Pf irgendeine kleine Nascherei gab. Wir waren jedenfalls sehr glücklich in unserer Flussbadeanstalt, und es trieb uns vorwärts, wenn wir von der Bahnhofstraße in die Vormasch einbogen und bereits den fröhlichen Lärm hörten, der über den hohen Bretterzaun zu uns drang.

Otto Granzow, aus „Alfelder Geschichten“ Herausgegeben von einer Alfelder Arbeitsgemeinschaft im Jubiläumsjahr 1983