Das Vesperpaket

oder „Für den kleinen Hunger zwischendurch“

Natürlich haben in früheren Zeiten die Feiern und Vespern auch ihre Rolle gespielt. Man kannte noch keine „Kalten Büfetts“ und keine „Parties“ und war in allem auch ganz erheblich bescheidener als heute. Sogar ein Vesperpaket konnte erhebliche Freude auslösen. Manchmal war der Schmaus natürlich auch mit einem Schabernack verbunden. Das sollte der Hausmeister der ehemaligen „Weißen Schule“, Otto Rudolph erleben. Er hatte seine Ausbildung als Schneidermeister genossen und liebte es daher, auch oft im Schneidersitz zu Hause zu sitzen. Herr Rudolph war nicht nur als Turner bekannt, er war auch in der Feuerwehr als Kamerad beliebt und geschätzt. Wenn heute in den Zügen der Feuerwehr gefeiert wird, um die Kameradschaft zu pflegen, so machte früher neben dem Querschneiden bei August Rasche auch das Vespern Freude.

Herr Rudolph konnte aber an einer der Veranstaltungen nicht teilnehmen und nun hatten sich die lieben Kameraden etwas ausgedacht: Albert Harnisch, in der Polizeiverwaltung der Stadt tätig und als einer der aktivsten Feuerwehrleute in Alfeld bekannt, hatte den Auftrag, Herrn Rudolph das Vesperpaket frei Haus zu liefern. Herr Harnisch erschien mit zwei Paketen, gab eines ab und hatte gar keine Zeit zu einem Gespräch mit Herrn Rudolph. Das sollte aber so sein, denn Herr Harnisch war noch nicht
draußen vor der Tür, da hatte Otto Rudolph das Paket schon aufgemacht und wollte sich gleich zum Vespern im Schneidersitz hinsetzen. Er blieb aber stehen, denn er konnte in diesem Paket keine leckeren Würste, Mett und Steak finden, sondern es waren nur Knochen. Vielleicht hingen noch ein paar Fleischreste dran: es war ein richtiges Hundepaket.

Otto Rudolph in seiner turnerischen Wendigkeit bürstete hinter Albert Harnisch her. Er reklamierte: „Was habt ihr mir denn da eingepackt?“ und gab ärgerlich sein Paket zurück. Auf diesen Moment hatte Albert Harnisch gewartet. Er hatte ihn sich so richtig ausgemalt mit seinen Kameraden, denn er erklärte ganz gelassen: „Ach, entschuldige bitte, dieses Paket ist für meinen Hund, das zweite hier ist für dich“. Nun konnte Otto Rudolph sich echt dem Genuss der Sendung seiner Feuerwehr-Kameraden hingeben und die Kameradschaft blieb ungetrübt.

Quelle: Anneliese Peck & SIEBEN: November 2000