Anekdoten vom Bahnhof

Anekdoten vom Bahnhof, Perk- & Seminarstraße

Es war ein Ereignis für die Familie Stolzenberg, dass sie im Jahre 1911 für 50 Mark den Bürgerbrief der Stadt Alfeld erwerben konnte. Sie hatte darüber hinaus „Onkel Toms Hütte“ von Frau Grimm erworben. Da aber bei Frau Grimm die Zahl der Kinder etwas im Unklaren bleiben sollte, lud Amtsgerichtsrat Düsterdiek die Mutter Grimm als Verkäuferin und das Ehepaar Stolzenberg zur Verhandlung in die 1. Etage seines Hauses an der Gudewill Straße ein.

Mutter Grimm gab für die Erbauseinandersetzungen immer nur drei Söhne an. Aber in dreieinhalbstündiger Befragung gelang es Amtsgerichtsrat Düsterdiek ihren vierten, unehelichen Sohn nachzuweisen und diesen auch bei der Verteilung der Erbmasse zu beteiligen. Die Verhandlung ging so heiß her, dass sie nur möglich war, weil das Fenster laufend auf und zu gerissen wurde, um von neuem mit dem Verhandlungsstand zu beginnen.

Vater Stolzenberg war auf dem Schacht Desdemona in Godenau tätig, und Mutter Stolzenberg versorgte viele Alfelder Familien mit dem Plätten der hohen steifen Kragen, zum Teil auch Vatermörder genannt, sowie der Chemisettes und Manschetten. Georg Stolzenberg, der Sohn, war in diesem Unternehmen mit dem Austragen der Wäsche und dem Kassieren der ausstehenden Beträge beschäftigt. Von einer Kundin, die immer ganz groß angab, stand ein Betrag von 5 Mark aus. Mutter Stolzenberg war schon sehr ärgerlich über die schleppende Zahlungsweise, dass sie Sohn Georg bei der Eintreibung des Betrages das Geld versprach. Mit List und Tücke gelang es auch Schorse Stolzenberg, dieses „Vermögen“ einzutreiben.

Er begab sich dann zum Bahnhof, um seinen Vater abzuholen, der immer abends halb sieben Uhr mit dem Zuge kam. Notgedrungenerweise musste er aber einmal das allen Alfeldern sehr bekannte Bretter-Cafe des Bahnhofs aufsuchen. Bei dieser Gelegenheit verlor er die schwer erkämpften 5 Mark. Von einer anständigen Beleuchtung war keine Rede. Da es sich um eine abflusslose Grube handelte, konnte die Rettungsaktion für die abgetauchten 5 Mark nur mit Hilfe einer vom Bahnhofswirt Abel gepumpten Petroleumlampe und dem entsprechenden Jauchefüller durchgeführt werden. Stunden später… konnten die hart erkämpften 5 Mark zur großen Freude von Schorse Stolzenberg geborgen werden.

An dieser Stelle sei nur kurz an zwei Alfelder Originale erinnert: Heinrich Höhn und Karl Selle. Ersterer gehörte zu den stärksten Männern Alfelds. Er war in der Firma Menge (Ziegelei) beschäftigt und das Heben und Tragen von Zwei-Zentnersäcken war für ihn eine Kleinigkeit. Bei den früheren Alfelder Freischießen spielte er natürlich eine große Rolle.
Zur alten Alfelder Maurergeneration gehörten die Selles. Karl Selle ging, wie viele Alfelder Maurer, im Winter zum Hausschlachten. Andere mussten in die Brauerei (in der Wallstraße), denn Arbeitslosenunterstützung und Schlechtwettergeld-Regelungen kannte man zur damaligen Zeit noch nicht. So waren alle Alfelder Maurer zur Winterszeit im Einsatz. Und hier war es Karl Seile, der im Anschluss an die damals sehr komplizierten Hausschlachtungen am Feierabend, wenn die ganze Nachbarschaft und Verwandtschaft sich zum Vespern einfand, singend über Tische und Bänke springen und tanzen konnte. Aber als letzte Erinnerung an ihn bleibt seine unendliche Schwerhörigkeit.

Zu den Perkern gehörte auch Fritze Strohmeyer mit seiner Landwirtschaft, den Pferden und der Kutsche, mit der er über Land fuhr. Kegelklubs unserer Zeit erinnern sich noch der lustigen Fahrten zu Himmelfahrt mit der Bierfracht auf dem Wagen und „Fritze Mäuhe“ auf dem Bock.

Wenn die Familie Grösche auch mit ihrem Bürstenladen im Stadtkern saß, so muss doch Hermann Grösche zu den Perkern gezählt werden. Unvergesslich ist sein kostbares „Brikett“, gemeint ist der heute noch existierende Hanomag, „der Kohlenkasten“. Er hatte das Aufsehen wirklich ganz allein, wenn er damit seinen Einzug in das Schützenfest-Zelt hielt. Viele lustige Geschichten machen hierzu die Runde.

Siegfried Grösche und sein Hanomag ALF-W5

 

Eine typische Alfelder Straße war auch die Seminarstraße, mit dem ältesten Bürgerhaus der Stadt, dem Krohmeschen Haus. Seine Erhaltung ist nur dem eisernen Willen des alten Krohme zu verdanken, denn er hatte beim Brand in der Seminarstraße den berühmten Schrei gehabt, „eck will kein Foier“. Alle anderen waren dem Feuer gar nicht so abgeneigt, denn man spricht in Fachkreisen darüber, dass die Maurer immer wieder von neuem Arbeit gebraucht haben, und es daher in Alfeld öfter mal brennen musste. Krohmes sind mit ihrer Kapelle und ihrer hervorragenden Musik sehr bekannt gewesen. Das Blasen der Alfelder Jungen 1919 vom Kirchturm zur Neujahrsnacht, der Hauptschriftleiter (der AZ) Karl Granzow hatte zu ihnen gehört, ist vielen heimatbewussten Alfeldern unvergesslich.

Bernhard Kaiser wohnte auch in der Seminarstraße und seine Beschäftigung löste nicht immer die Freude der Nachbarn aus. Er wohnte in dem heutigen Mädelschen Hause. Hier war auch die Deckstation für die Ziegen untergebracht, und mit seinem kleinen Wagen war er als Fuhrunternehmer tätig. Sein Spezialgebiet war die Fäkalienabfuhr. Sein Jauchefass war aber von ganz minderer Qualität. Es handelte sich um ein teilweise mit Stricken zusammengebundenes Holzfass. Das Zusammenbrechen von Wagen und Fass soll auf der Seminarstraße zu einer einzigartigen Katastrophe geführt haben. Man hat gar nicht soviel Wasser heranschleppen können, um den Gestank auf dem damaligen Kopfsteinpflaster wieder loszuwerden. Bernhard Kaiser wurde aber auch mit seinem Wagen als Taxi-Unternehmen eingesetzt. Er brachte die Betrunkenen sicher verladen nach Hause, ohne Polizeikontrollen und Promillevergehen – seinerseits.

Für die Seminarstraße spielte in den zwanziger Jahren neben dem Konsum der Laden von Alma Koch eine besondere Rolle. Hier traf man sich und die neuesten Ereignisse wurden behandelt. Die Alfelder Zeitung brauchte in punkto Lokalereignisse
eigentlich nicht mehr zu erscheinen. Alma Koch war eine herzensgute Frau und hatte wo sie konnte ihren Mitmenschen geholfen. Zu ihrem 80sten Geburtstag , der auf einen Pfingsttag fiel, lud sie ihren alten Freundeskreis ein und wies schon bei der Einladung auf ein Ständchen des Posaunenchores um 8 Uhr hin. Bei den alten Damen setzte sich die Meinung durch, dass sie schon morgens um 8 Uhr da sein müssten, da dann das Ständchen gebracht würde. Sie hielten aber die Zeit bis zum Eintreffen des Posaunenchores um 8 Uhr abends getreulich durch … bei der bekannt guten Verpflegung durch Alma Koch.

Quelle: Anneliese Peck & SIEBEN: August 1998